Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden vom 19.02.2013, Az.: 5 L 1420/12, sowie Berichtigungsbeschluss vom 21.02.2013 zur integrativen lernzieldifferenten Beschulung an einer Mittelschule in freier Trägerschaft.

VG Dresden, Entscheidung vom 19.02.2013, Az.: 5 L 1420/12:

Auch bei Vorliegen von sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Lernen besteht ein Anspruch auf Beschulung in einer Mittelschule in freier Trägerschaft, wenn dort die erforderliche pädagogische Förderung sichergestellt ist

Ein 11-jähriger Junge, bei dem sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich Lernen festgestellt worden war, besuchte im Ausland bis zur dritten Klasse eine Regelschule und ab der 4. Klasse in Deutschland eine Schule für Lernförderung.
Im Juli 2012 beantragten seine Eltern den Wechsel auf eine Mittelschule in freier Trägerschaft. Die Mittelschule war zur Aufnahme des Kindes bereit. Es gab bereits 4 Schüler, die an dieser Mittelschule lernzieldifferent beschult werden.
Die Sächsische Bildungsagentur teilte den Eltern des Schülers mit, dass eine lernzieldifferente Beschulung an einer Mittelschule in freier Trägerschaft nicht zulässig sei.
Die Eltern legten gegen diese ablehnende Entscheidung Widerspruch ein und beantragten im November 2012 beim Verwaltungsgericht Dresden, dass ihrem Sohn vorläufig im Wege einer einstweiligen Anordnung das Recht eingeräumt werde, die Mittelschule als Integrationsschüler zu besuchen. Ab Dezember 2012 begann der Schüler mit einer Probebeschulung an der Mittelschule in freier Trägerschaft.

Am 19.02.2013 gab das Verwaltungsgericht diesem Antrag statt.
Es begründete seine Entscheidung so:

Die Pflicht zum Besuch der Förderschule besteht nicht, wenn eine integrative Unterrichtung an einer allgemeinbildenden Schule zulässig ist.
In entsprechender Anwendung von § 2 SchIVO ist Maßstab der zu treffenden Entscheidung, dass der Schüler im Falle integrativer Unterrichtung die erforderliche pädagogische Förderung enthält und deshalb einer besonderen pädagogischen Förderung für längere Zeit in der Förderschule nicht mehr bedarf
( SächsOVG, Beschluß vom 30.07.2002, Az.. 2 BS 2424/02).

In entsprechender Anwendung von § 5 Abs.2 SchIVO muss gemäß § 16 Abs. 2 SOFS ein förderpädagogisches Gutachten erstellt und geprüft werden, unter welchen Bedingungen der bestehende sonderpädagogische Förderbedarf eine Unterrichtung des Schülers an einer allgemeinbildenden Schule zuläßt.

Die Entscheidung, ob eine Verpflichtung zum Besuch einer Förderschule weiterhin besteht oder ob der Schüler an der konkreten Mittelschule in freier Trägerschaft beschult werden kann, ist an Art. 3 Abs.3 Satz 2 GG zu messen.
Art.3 Abs.3 Satz 2 GG besagt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.
Eine Benachteiligung liegt vor, wenn der Förderschüler die Förderschule besuchen soll, obwohl die Unterrichtung an einer allgemeinbildenden Schule mit sonderpädagogischer Förderung möglich ist, der dafür benötigte personelle und sächliche Aufwand mit dn vorhandenen Personal- und Sachmitteln bestritten werden kann und auch organisatorische Schwierigkeiten oder schutzwürdige Belange Dritter der integrativen Unterrichtung nicht entgegenstehen ( BVerfG, Beschluß vom 08.10.1997,juris).
In verfahrensmäßger Hinsicht verlangt das Benachteiligungsverbot eine substantiierte Begründung der getroffenen Entscheidung, die die maßgeblichen Erwägungen der Schulbehörde offenlegen.
Dabei sind die Gesichtspunkte offenzulegen, deren Beachtung Art. 3 Abs.3 Satz 2 GG verlangt.
Anzugeben sind danach je nach Lage des Falles Art und schwere der Behinderung und die Gründe für die Einschätzung, dass die Förderung des Schülers am Besten in einer Förderschule gewährleistet erscheint. Es sind auch die an der Regelschule entgegenstehenden personellen, sächlichen und organisatorischen Schwierigkeiten sowie die Gründe darzulegen, warum diese im konkreten Fall nicht überwunden werden können. Schließlich ist auf entgegengesetzte Erziehungswünsche des Kindes und seiner Eltern einzugehen.
Diese sind abwägend in einer Weise zu den Erwägungen der Schulbehörde in Beziehung zu setzen, dass die staaatliche Maßnahme nachvollziehbar und auch gerichtlich überprüfbar macht.
Der Umstand, dass im Einzelfall ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht und die festgestellten Beinträchtigungen erheblich sind, trägt das Abwägungsergebnis alleine nicht. Es ist stets auch die Frage zu klären, ob der Schüler im Wege integrativer Unterrichtung die notwendige Förderung an der Regelschule erhalten kann ( SächOVG, Beschluß vom 29.01.2013, 2 B 340/12).

Aus Art.3 Abs. 3 Satz 2 GG folgen Verfahrensrechte, die der Verwirklichung der materiellen Rechtspositionen und des wohls des Förderschülers zu dienen bestimmt sind.
Die Schulbehörde hat diese Verfahrenspositionen verletzt, indem sie nach Eingang des auf eine konkrete integrative Beschulung gerichteten Antrags weder die bisher besuchte Förderschule noch die aufnehmende Mittelschule um eine Zuarbeit im Hinblick auf Förderpläne und Entwicklungsberichte gebeten noch die Antragsteller in unmißverständlicher Weise darauf hingewiesen hat, welche Unterlagen nach ihrer Auffassung von den freien Schule beizubringen waren.

Der Antragsgegner hat unter Verletzung der aus Art.3 Abs.3 Satz 2 GG folgenden Verfahrenförderpflichten gegenüber den Antragstellern wiederholt in sachwidriger Weise zum Ausdruck gebracht, dass eine lernzieldifferente Integration an Mittelschulen nicht in Betracht komme und ein Besuch der Mittelschule daher voraussetze, dass der sonderpädagogische Förderbedarf bei dem Antragsteller entfallen sei, was aufgrund der Begutachtung von 2010 wenig wahrscheinlich sei.

Aus der Art des sonderpädagogischen Förderbedarfs allein kann in der Regel noch keine Aussage zur Integrationsmöglichkeit abgeleitet werden.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Antragsgegner in Art.16 Abs.2 Satz 1 SOFS ein Rechtsfolgeermessen im Hinblick auf die Beauftragung eines förderpädagogischen Gutachtens eingeräumt wird.

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